Markus Werner
Wann?
2004
was?
Protagonist ist Clarin, ein lebensfrohen Mittdreißiger und Scheidungsanwalt.
Man trifft sich zufällig, an Pfingsten, wenn "die Flammen züngeln" und der Heilige Geist manch Liebenden ein Fegefeuer entfachen lässt, auf der Terrasse eines Kurhotels in Montagnola.
Kommt bei Kaninchenfilet und Weißwein ins Debattieren, streitet sich über Gott und die Welt, die letzten Dinge und den Zeitgeist, über Liebe und die Love Parade, Metallbügel-BHs und Unterhosen mit Eingriff, erzählt einander aus seinem Leben.
Größere Gegensätze sind kaum denkbar. Der eine ist ein leichtsinniger Tatmensch und bedenkenloser womanizer, ebenso kontaktfreudig wie bindungsscheu. Der andere ein zaudernder Moralist und enttäuschter Linker, dem die Liebe eine Vereinigung von Seelen, nicht von Körpersäften war. Der eine hält die Ehe für eine "glatte Überforderung der menschlichen Natur", dem anderen war sie "Heimat":
"Ich habe es schon angedeutet, sagte ich (Clarin), ich rede von der ehelichen Stufenleiter, die vom Begehren über das Mögen über die liebe Gewohnheit über die Lustlosigkeit hinabführt bis zur Abneigung, womöglich bis zum Haß, und dann kommt die Stunde der diplomierten oder undiplomierten Berater, und vielleicht sorgt ein durchsichtiges Negligé oder ein verzweifelter Tanga für ein paar letzte Funken, und dann kommt die Stunde des Anwalts.
Warum so hitzig? fragte Loos, es behauptet ja niemand das Gegenteil. Die Ehe entspricht nur wenigen und überfordert die meisten, ich möchte Sie einzig bitten, das Wort investieren nicht zu verwenden, wenn Sie von Beziehungen reden, denn schauen Sie – hier zog Loos den Ärmel seiner Jacke ein wenig hoch und zeigte mir seinen Unterarm, auf dem ich ein paar rote Tüpfchen sah -, schauen Sie, ich bin allergisch. – Ich lachte, ich glaubte an einen Scherz, aber er blieb ernst und sagte, er lese oft und gern Kontaktanzeigen, weil er auf der Höhe der Zeit bleiben wolle, deren Beschaffenheit sich unter anderem in Kontaktanzeigen widerspiegle. Da sei er neulich auf die Annonce eines Dreißigjährigen gestoßen, der sich selbst als weltkompatibel beschrieben habe und anschließend, unter dem Stichwort Anforderungsprofil, die benötigten Eigenschaften seiner Wunschpartnerin aufgezählt habe, worauf er, Loos, auf seinen linken Unterarm aufmerksam geworden sei, weil sich darauf innerhalb kürzester Zeit rote Punkte gebildet hätten. – Ich sagte, halb lachend, halb verstimmt, ich wolle mich bemühen, Rücksicht auf die Allergie zu nehmen, auch wenn es mir ein wenig widerstrebe, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. – Nicht jedes, jedes nicht, sagte Loos, und eigentlich beneide ich Sie ja darum, daß Sie, was Ihre Gefühle betrifft, ein zaudernder Investor und Anleger sind, so bleiben die Verluste verkraftbar. Andrerseits ist freilich zu bedenken, daß sich, je kleiner das Risiko ist, auch die Gewinnaussichten minimieren, denn was wirft ein Sparheft schon ab?"
Dem einen fällt, wo man schon mal beim Thema ist, eine Affäre mit einer Valerie wieder ein, der gelangweilten Frau eines Cello-Lehrers, die er vor genau einem Jahr hier an diesem Ort - sie begann zu klammern - beendete. Der andere trauert noch immer um seine Bettine. Ein Gehirntumor war der abgöttisch Geliebten entfernt worden, hier an diesem Ort hatte sie vor einem Jahr genesen wollen, war aber dann durch einen Unfall ums Leben gekommen. Mysteriöse Bemerkungen von Loos wecken Clarins Verdacht: Hat der Kauz womöglich seine Frau auf dem Gewissen? Und haben sich seine Valerie und Loos' Bettine seinerzeit im Kurhotel kennen gelernt? "
Allein das Zögern ist human", behauptet Loos, der, durchaus nicht sinnenfeindlich, den von Clarin verteidigten Erfolg der Pornografie als "Zeichen erotischer Unkultur" wertet - als Beleg dafür, dass die entfesselten Marktkräfte längst schon den Bereich der Erotik und Intimität assimiliert haben. Auch die zwei Tage andauernden Begegnungen der beiden Vertreter verschiedener Generationen lassen sich als ein den Höhepunkt raffiniert hinauszögernder Akt lesen - als Ars Amandi und Purgatorium in einem. Und zugleich als Werners Plädoyer für die Kunst des Erzählens: mit Annäherungen und Rückziehern, freiwilligen oder unfreiwilligen Entblößungen und die Spannung steigernden (Pinkel-)Pausen.
Mag sein, dass anfangs die Konstruktion noch etwas knarrt, dass die Figuren mehr dem Reißbrett als dem Leben zu entstammen scheinen und "Am Hang" insgesamt nicht ganz an Vorgänger wie "Bis bald" heranreicht. Spätestens nach 50 Seiten ist das vergessen, fängt man Feuer, wirkt die Sprache der Figuren nicht mehr antiquiert oder gestelzt. Vielmehr erweist sich Werners Stil als effektvoll kalkuliert – und bestens geeignet ist, die Banalität des Bösen, die hier verhandelt wird, zu bändigen.
(ARTE Buchtipp)
Das Buch kaufte und las ich auf Empfehlung. Die ersten Zeilen wirken anders. Fremd. Doch schon nach wenigen Abschnitten wird man heimisch in dieser Fremde und beginnt, sich darin wohl zu fühlen.
Gesagt
"Es gibt Bücher, die man zweimal lesen will – das ist der Glücksfall. Und es gibt Bücher, die man zweimal lesen muss – das ist der Fall von Markus Werners Am Hang..." Andreas Isenschmid.
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